Alma Rosé Preisträgerin 2024, Astrid Wenz

Alma Rosé Preisträgerin 2024, Astrid Wenz: Die Wiener Ephrussis – Eine jüdische Familie zwischen Vermögensentzug und Restitution

In ihrer Sammelbandbeitrag zur Wiener Ringstraßengesellschaft schrieb Beatrix Bastl: „Wir sollten uns dessen erinnern, was wir diesen Familien alles verdanken.“1 Sie sprach hier vor allem von den jüdischen Familien, die sich an der Wiener Ringstraße ihre repräsentativen Palais‘ schufen. Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten in Österreich 1938 wurden viele Familien Wiens, die zuvor zur Elite der Stadt gehörten, mit einem Schlag zu Ausgestoßenen.

Die Ephrussis

Eine dieser betroffenen Familien waren die Ephrussis, eine ursprünglich aus der heutigen Ukraine stammende Bankiersfamilie. Bereits im April 1938 wurde der Patriarch Viktor Ephrussi verhaftet und musste unter Zwang sein gesamtes Vermögen abgeben. Im Gegensatz zu vielen anderen gelang der Familie jedoch die Flucht aus Wien. Verstreut über Großbritannien, die USA, Mexiko und Japan überlebten Viktors vier Kinder den Krieg, er selbst starb 1945 wenige Wochen vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa. Nach 1945 forderten seine vier Erben – Elisabeth, Ignaz, Rudolf und Gisela – seine Vermögenswerte zurück und stellten Restitutionsanträge an die Republik Österreich. Vor allem durch den Einfluss Ignaz Ephrussis, der Captain bei der US Army geworden war, konnten zahlreiche Rückstellungsanträge bereits in der unmittelbaren Nachkriegszeit bearbeitet werden.

Während Namen wie Rothschild auch heute noch öffentlich bekannt sind ist über die Ephrussis in akademischen Texten erstaunlich wenig zu finden. Bedenkt man außerdem, dass das Buch „Der Hase mit den Bernsteinaugen“ von Edmund de Waal, einem Nachfahren Elisabeth Ephrussis, zu einem weltweiten Bestseller wurde, der die Familiengeschichte der Ephrussis nacherzählt, ist das wissenschaftliche Desinteresse umso erstaunlicher.

Primärquellen aus Archiven

Dieser Blogbeitrag gibt einen kurzen Überblick der Masterarbeit „Die Wiener Ephrussis – Eine jüdische Familie zwischen Vermögensentzug und Restitution“. Darin wurden neben der vorhandenen Sekundärliteratur vor allem Primärquellen aus dem Österreichischen Staatsarchiv, dem Wiener Stadt- und Landesarchiv sowie des Bundesdenkmalamtes herangezogen.

Stammbaum – Quelle: eigene Darstellung nach Gaugusch, Georg, Wer einmal war. Das jüdische Großbürgertum Wiens 1800-1938. A-K. Wien 2011.

Von Odessa nach Wien

Die Ursprünge der Familie Ephrussi liegen den meisten Darstellungen zufolge in der heutigen Ukraine.1 Dort zogen sie aus dem Ort Berditschew im jüdischen Kernland nach Odessa, eine der am schnellsten wachsenden Städte des 19. Jahrhunderts und dem wichtigsten Schwarzmeerhafen des Russischen Reiches. In der Hafenstadt galten andere Rechtsvorschriften als im übrigen Russischen Reich. Ausländische Investor:innen und Kaufleute sollten zum Bleiben bewogen werden, jüdische Einwohner:innen wurden als russische Bürger:innen eingestuft.2

Chaim Ephrussi war Kaufmann und Betreiber einer Großhandlung.3 Vermögend wurde er vermutlich „durch den Verkauf russischen Getreides in Frankreich“.4 1829 eröffnete Chaim Ephrussi ein Handelsbüro in Odessa,5 1830 außerdem noch ein Bankhaus. Chaim Ephrussi hatte bereits in den 1840er Jahren seinen jüdischen Namen abgelegt und nannte sich Joachim oder Charles Joachim, seine Söhne Leib und Isaak verwendeten die Namen Leon und Ignaz.6

Eine erste Verbindung der Familie zu Wien ist 1839 zu bemerken, als Joachims erste Ehefrau Bella Löwensohn die Regierungsgenehmigung für eine Reise nach Wien erhielt. Sie starb dort 1841. 1856 wurden die Büros der Familie in Wien und Paris eröffnet. Leon sollte das Pariser Büro leiten, starb aber bereits 1871. Sein Sohn Charles wurde Kunstsammler in Paris, auch seine drei weiteren Kinder blieben in Paris. Der jüngere Ignaz war nun der Firmenerbe und arbeitete abwechselnd in Odessa und Wien.

Ignaz Ephrussi – Quelle: Wikimedia Commons.

1882 wurde das Bankhaus Ephrussi & Co. in Odessa endgültig aufgelöst. Als Grund wurde die zunehmend feindselige Stimmung gegenüber Jüd:innen sowie deren Verfolgung in Russland angegeben.7 Bereits seit 1855 dürfte die Familie ihren Lebensmittelpunkt allerdings in Wien gehabt haben.8

Das Bankhaus Joachim und Ignaz Ephrussis

Im April 1857 wurde das Großhandelshaus Ephrussi & Comp. in Wien offiziell beim Wiener Handelsgericht angemeldet und mit einer Großhandelsbefugnis ausgestattet.9 Nach dem Tod Joachim Ephrussis 1864 wurden Leon und Ignaz Gesellschafter des Bankhauses mit dem nunmehrigen Firmensatz Wasagasse 2. Ein weiterer Teil des Unternehmens befand sich gegenüber des späteren Palais Ephrussi10 an der Ecke Schottengasse 4/Helfersdorferstraße 1.

Auch gesellschaftlich waren die Ephrussis bald ein Teil der sogenannten „Zweiten Gesellschaft“. Ignaz Ephrussi heiratete am 11. November 1855 im Wiener Stadttempel Emilie Porges, eine Tochter Anna Todescos und des vermögenden Großhändlers Ephraim Porges.11 Ihr Großvater Hermann Todesco war außerdem einer der Gründer des Wiener Stadttempels und Vorsteher der Israelitischen Kultusgemeinde in Wien.12 Ignaz und Emilie pendelten auch verheiratet immer wieder zwischen Wien und Odessa, ihre Kinder Stephan, Viktor und Anna Isabella kamen noch in Odessa zur Welt. Erst mit der endgültigen Auflösung des Bankhauses in Odessa 1882 wurde Wien zum alleinigen Wohnort des Familienzweigs um Ignaz Ephrussi.13

1869 erwarb Ignaz eine 1.051 Quadratmeter große Liegenschaft mit der Adresse Schottengasse 11/Franzensring 2414 an der Ringstraße. Der Kaufpreis betrug 115.043 Gulden.15 Noch im selben Jahr wurde der Architekt Theophil Hansen mit dem Bau eines Palais an dieser Adresse beauftragt. Hansen erbaute unter anderem auch das Palais Epstein und das Parlamentsgebäude in Wien.

Bauplan Palais Ephrussi – Quelle: Hansen, Theophil, Das Haus des Herrn Ritter von Ephrussi in Wien. In: Allgemeine Bauzeitung. 39. Jahrgang. Wien 1874. Via ANNO.

Mit einem Ringstraßenpalais fehlte den Ephrussis nur noch ein Adelstitel, um gänzlich in der höheren Gesellschaft Wiens anzukommen. Am 15. Juli 1871 wurde Ignaz Ephrussi nach einem Ansehen des Reichskanzlers von Kaiser Franz Joseph I. zum „Ritter des Ordens der Eisernen Krone 3. Klasse“ ernannt.16

Nach dem Tod Ignaz Ephrussis 189917 übernahm sein zweitältester Sohn Viktor die Geschäfte. Mit dem Ersten Weltkrieg und dem Ende der Monarchie hatte allerdings auch die Familie Ephrussi einen großen Teil ihres Vermögens verloren. Gabriele Kohlbauer-Fritz beschreibt, dass das Bankhaus „nur mit Hilfe der Deutschen Disconto-Gesellschaft und der Firma Gebrüder Gutmann gerettet werden“18 konnte. Viktor Ephrussi selbst hielt nur mehr 20 Prozent der Firma.19 Für die Disconto-Gesellschaft wurde Carl August Steinhäusser als Prokurist eingesetzt und 1922 zum Mitgesellschafter bestellt. Er war es auch, der die Firma 1938 übernehmen sollte. 1924 wurde der Bankier Alexander Weiner ebenfalls Mitgesellschafter. Die drei führten das Bankhaus ab 1934 als Offene Gesellschaft.20

Während des Krieges hatte auch der Antisemitismus in Wien deutlich zugenommen. Vor allem aus Galizien und der Bukowina waren zahlreiche Juden und Jüdinnen nach Wien geflohen, um den Pogromen in ihrer Heimat zu entgehen. In Österreich wurden sie von Politiker:innen als „Ostjuden“ diffamiert, die aus dem Land abgeschoben werden sollten. Großbürgerliche Familien wie die Ephrussis waren in diesen ersten Jahren nach dem Ersten Weltkrieg meist nicht direkt von Antisemitismus betroffen. In den 1920er Jahren lässt sich allerdings eine Reihe von feindlich gesinnten Berichten gegen die Familie finden.21

Buchcover „Der Hase mit den Bernsteinaugen“ – Quelle: Zsolnay Verlag.

Der „Anschluss“

Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten kamen auch die großbürgerlichen jüdischen Familien immer stärker in Bedrängnis. Knapp einen Monat nach dem „Anschluss“, am 18. April 1938, stürmten die Nationalsozialisten das Palais Ephrussi. Viktor und sein Sohn Rudolf Ephrussi wurden verhaftet. Die Gestapo drohte Viktor mit der Einlieferung in ein Konzentrationslager, er verzichtete infolgedessen auf seinen gesamten Besitz in Österreich.22 Die Immobilien der Ephrussis wurden zuvor nach belastendem Material durchsucht. In Viktors Büroräumen wurden sie fündig, er hatte dem Schuschnigg-Regime fünftausend Schilling gespendet. Damit hatten die Nationalsozialisten einen vorsätzlichen Grund, ihm sein Vermögen zu entziehen.23

Dem Antrag der Geheimen Staatspolizei auf „Eigentumsübertragung“ vom 27. April 1938 wurde am 15. Juni vom Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien stattgegeben. Für die Liegenschaften der Ephrussis am Dr. Karl Lueger Ring 14, am Kärntnerring 8 und in der Schottenbastei 12 wurde „die Einverleibung des Eigentumsrechtes zugunsten des Landes Österreich bewilligt“.24

Im Palais Ephrussi wurde derweil das Amt Rosenberg untergebracht. Alfred Rosenberg veröffentlichte mit „Der Mythus des zwanzigsten Jahrhunderts“ eines der wichtigsten ideologischen Werke des Nationalsozialismus. Er selbst war für Überwachungs- und Schulungspolitik in der NSDAP zuständig. Die ihm untergeordneten Ämter organisierten in den folgenden Jahren den massiven Raub von Kunstschätzen in besetzten Gebieten.25 Danach wurden die Büroräume des Palais vom Amt für Wildbach- und Lawinenverbauung verwendet. Die Einrichtung des Palais blieb zuerst leihweise in den Amtsbüros, bis im Mai 1939 Viktor Ephrussis gesamter beweglicher Besitz aufgeteilt wurde. Das Inventurbüro der Burghauptmannschaft begründete das damit, dass unter dem Mobiliar auch künstlerisch wertvolle Stücke seien. Dreißig museumswürdige Gemälde und einige „künstlerisch hochwertige“26 Stücke gingen an das Kunsthistorische Museum. Die Österreichische Galerie bestätigte im Juni 1939 die Übernahme von sechs Gemälden, darunter Werke von Ferdinand Kobell und August Pettenkofen, die bis zur Rückgabe an die Ephrussi-Erben im Museum verblieben. Das Werk „Biwak“ von Franz Adam wurde dem Heeresgeschichtlichen Museum übergeben. Drei Bilder von Josef Danhauser und Hans Friedrich Gude wurden von dem Wiener Kunstverlag Wolfrum und der Galerie Welz in Salzburg erworben.27 Im September 1939 übergab die Reichsstatthalterei weitere Kunstwerke an die Österreichische Galerie, die jedoch im internen Inventar des Museums nicht als aus der Sammlung Ephrussi stammend gekennzeichnet wurden.28

Viktors umfassende Bibliothek ging an die Nationalbibliothek, das sonstige nicht benötigte Mobiliar an das Staatsmobiliendepot.29 Wie Tom Juncker aus einem Schreiben der Gestapo zitiert, brachte der Verkauf aller beweglichen Vermögenswerte Viktor Ephrussis dem Deutschen Reich insgesamt RM 639.000 ein.30

Nachdem Viktor Ephrussis drei älteste Kinder bereits vor 1938 ins Ausland emigriert waren, blieben zunächst nur Viktor, seine Frau Emmy und ihr jüngster Sohn Rudolf in Wien zurück. Rudolf bekam 1939 eine Ausreisegenehmigung in die USA, nachdem ihm sein Bruder Ignaz einen Arbeitsvertrag in Arkansas vermittelt hatte.31 Im Sommer reiste Elisabeth nach Wien, um ihre Eltern bei der Ausreise in die Tschechoslowakei zu unterstützen. Ihr Zufluchtsort war Kövecses, wo Emmys Familie – Schey von Koromla – ein Landgut besaß.32 Dort starb Emmy im Oktober 1938 vermutlich an einem Herzleiden, Edmund de Waal deutet in seinem Buch an, sie habe absichtlich eine Überdosis ihrer Herzmedikamente genommen.33 Elisabeth und ihr Onkel Philipp Schey von Koromla setzten sich daraufhin für eine Ausreisebewilligung für Viktor Ephrussi in die Schweiz oder nach England ein. Am 1. März 1939 wurde Viktor Ephrussi schließlich ein Visum für die einmalige Ausreise bei der britischen Passkontrolle in Prag erteilt. Gemeinsam mit Elisabeth mietete er ein Haus in Tunbridge Wells im Südosten Londons.34 Dort verstarb Viktor Ephrussi knapp sechs Jahre später am 6. Februar 1945.35 In seinem Testament erklärte er die Überschreibung seines Besitzes in Wien für nichtig. Er habe dies nur unter Druck der Gestapo und nicht aus freiem Willen getan. Sein Sohn Ignaz übermittelte dieses Testament an die US Property Control in Wien, die sich in den folgenden Jahren an der Suche daran beteiligte.36

Erste Suche nach dem gestohlenen Besitz

Während der Kriegsjahre hatten sich die vier Kinder Viktor Ephrussis auf der ganzen Welt verteilt. Gisela lebte in Mexiko, Elisabeth in England, Rudolph und Ignaz in den USA. Viktors ältester Sohn Ignaz Ephrussi war bereits 1934 nach New York gezogen, wo er als Modedesigner tätig war. 1942 meldete er sich freiwillig bei der US Army und absolvierte die Grundausbildung. Bis Kriegsende erhielt er auch den Titel „Captain“ der US Army.

Ignaz spielte aber auch für die Restitutionen des Ephrussi-Vermögens eine wichtige Rolle. Durch seinen Titel als Captain der US Army hatte er großen Einfluss und konnte bei der US Property Control in Wien 1945 Suchanfragen stellen. Das Palais Ephrussi blieb auch nach dem Krieg ein bedeutender Ort, wurde dort doch das American Headquarter der Legal Council Property Control Sub-Section eingerichtet. Die USA begannen als eine der vier Besatzungsmächte Österreichs, von den Nationalsozialisten geraubtes Eigentum genau zu dokumentieren, um es an die ursprünglichen Eigentümer:innen restituieren zu können.37

Ignaz bat die Property Control sich zu erkundigen, in wessen Besitz die drei ehemaligen Ephrussi-Immobilien am Kärntnerring, Luegerring und in der Schottenbastei seien.38 Dr. Paul Schweizer nahm sich der Sache an, von ihm sind mehrere Akteneinträge erhalten. In einer beigelegten Grundbucheinsicht von Oktober 1945 ist für die beiden Häuser am Luegerring und in der Schottenbastei weiterhin das Deutsche Reich als Eigentümer eingetragen, für das Haus am Kärntnerring die Firma Galizische Naphta A.G. „Galicja“, die das Gebäude durch einen Tauschvertrag mit dem Deutschen Reich erhielt.39

In den folgenden Jahren wurde eine Reihe von Anträgen gestellt. In den Akten der Property Control ist unter anderem ein offizieller „Property Claim“ der vier Ephrussi-Geschwister für die drei Immobilien, den beweglichen Besitz in der Familienwohnung sowie das Bankhaus enthalten.40 Für die beiden Häuser in der Schottenbastei 12 und am Dr. Karl Luegerring 14 wurden Rückstellungsanträge nach dem 1. Rückstellungsgesetz gestellt. Es regelte die „Rückübertragung jener entzogenen Vermögen, die auf Grund reichsrechtlicher Vorschriften entzogen worden waren und sich nun in der Verwaltung des Bundes oder der Bundesländer befanden“.41 Das Haus in der Schottenbastei 12 wurde mit dem 30. November 1949 offiziell an die vier Erben Viktor Ephrussis rückgestellt.42 Nach zweijährigem bürokratischem Hin und Her wurde auch das Haus am Dr. Karl Lueger-Ring 14 mit 31. Jänner 1950 an die Erben Viktor Ephrussi zu je einem Viertel rückgestellt.43 Für das Haus am Kärntnerring 8 wurde am 20. November 1948 ein Vergleich zwischen der Firma Galicja und den vier Erben Viktor Ephrussis geschlossen und das Haus an sie zurückgestellt.44

Restitution von „beweglichem Besitz“

Im Jänner 1948 stellte Gustav Steinbauer im Namen der Ephrussi-Nachkommen einen Antrag auf Rückstellung von Viktor Ephrussis beweglichem Vermögen nach dem 1. Rückstellungsgesetz. Dieses bestand laut dem Antrag aus „einer wertvollen Bibliothek, Wohnungseinrichtung, Bildern und Wandteppichen“45 und wurde auf verschiedene Stellen aufgeteilt und befinde sich zum größten Teil noch in Wien. Da keines der Familienmitglieder in Wien wohnhaft war, machten sich die amerikanische Property Control (Abteilung Porzellangasse 51) sowie die Abteilung für Political Affairs (Boltzmanngasse 16) als zuständige Stellen auf die Suche nach den Gegenständen. Als wertvollste darunter wurden die vier Gobelins identifiziert, einer davon stammte bereits aus der Zeit des französischen Königs Ludwig XV. Die Recherchen hätten außerdem ergeben, dass die gestohlenen Möbel sich im Amt für Wildbach- und Lawinenverbauung, im Kunsthistorischen Museum, in der Gemäldegalerie im Schloss Belvedere und im Mobilien-Depot befänden, sowie die Bücher in der Nationalbibliothek seien.46

Einem Teil von Steinbauers Antrags wurde im März 1948 stattgegeben. 191 Bücher, die eindeutig als Teil der Bibliothek Viktor Ephrussis identifiziert werden konnten, wurden aus der Österreichischen Nationalbibliothek rückgestellt.47

Die Kunstgegenstände und das Mobiliar aus der Privatwohnung Viktor Ephrussis waren 1945 auf viele Stellen aufgeteilt, daher war auch die Restitution eine komplexe Angelegenheit zwischen einer Vielzahl von Stellen. Fritz Novotny, der interimistische Leiter der Österreichischen Galerie, übermittelte bereits im Herbst 1946 an das zuständige Magistratische Bezirksamt „eine Aufstellung von 26 Kunstwerken, die im Lauf der Jahre der nationalsozialistischen Herrschaft in Österreich aus jüdischem Besitz für die Österreichische Galerie erworben wurden‘“.48 Darunter waren Werke aus der Sammlung Viktor Ephrussis. Novotny schreibt weiter, dass zehn dieser 26 Werke in der Nachkriegszeit restituiert worden sein, führt aber nicht genauer aus, welche das gewesen waren.49

Im November 1946 übermittelte das Kunsthistorische Museum Wien eine Liste von anmeldepflichtigen Objekten nach Vermögensentzug. Aus der Gemäldegalerie wurden drei Gemälde „niederländisch 17. Jhdt., 1939 vom Amt für Wildbach- und Lawinenverbauung übernommen, dem Vernehmen nach von Ephrussi stammend“50 angeführt, aus der Gobelin-Sammlung „sechs Tapisserien, flämisch und französisch, 16. bis 18. Jhdt., 1939 übernommen“51 – hierbei handelte es sich um die zuvor erwähnten wertvollen Gobelins, deren Namen einen Faible für griechische Sagen zeigen: „Verdüre, Gastmahl in einer waldigen Landschaft, Szene aus dem Bauernleben, Charon und Achill, Galante Szene, Mythologische Szene“.52

Im Herbst 1948 besuchte Viktors Tochter Elizabeth de Waal Wien, um sich auf die Suche nach den Besitztümern ihres Vaters zu machen. Nachzulesen ist das unter anderem in einem ihrer Briefe an den Politikwissenschafter Eric Voegelin. Voegelin musste ebenfalls vor den Nationalsozialisten aus Wien flüchten und starb 1985 in Stanford, wo seine Korrespondenz in den Hoover Archives aufbewahrt wird. Am 4. Mai 1949 schrieb sie:

„I went to Vienna in the autumn [of 1948, Anm.] to look after the remnants of my father’s possessions. It was a sad sight. I have very few friends there now. But I must admit that the activity going on in music, theatre and art is amazing and quite admirable. I came away with very mixed feelings, deeply saddened by all the destruction and bereavement and yet full of admiration for the new shoots of life springing up“.53

Wie Tom Juncker zusammenfasst, konnten zwischen 1948 und 1950 51 der insgesamt 76 der Familie Ephrussi geraubten Gemälde und Gobelins rückgestellt werden.54

Am 26. Mai 1950 erteilte das Bundesdenkmalamt die Ausfuhrbewilligung für eine Reihe von Kunstgegenständen durch Gustav Steinbauer an Ignaz Ephrussi in Tokio, Japan. Darunter waren 60 Stück Netsuke aus Holz, 135 Stück Netsuke aus Elfenbein sowie weitere Holz-, Porzellan- und Lackgegenstände.55 Darunter war auch der berühmte Hase mit den Bernsteinaugen, den Edmund de Waal für den Titel seines Buches inspirierte.

Weitere Restitutionen der letzten Jahre

Spätestens seit der Erlassung des Bundesgesetzes über die Rückgabe von Kunstgegenständen aus den Österreichischen Bundesmuseen und Sammlungen im Jahr 1998 betreiben österreichische Bundesmuseen aktiv Provenienzforschung.56 Die Forschungsergebnisse werden anschließend von dem sogenannten Kunstrückgabebeirat besprochen und mögliche Rückstellungen empfohlen.

Zwei dieser Empfehlungen des Kunstrückgabebeirats betrafen auch Vermögen aus ehemaligem Ephrussi-Besitz. Bei der 10. Beiratssitzung vom 27. März 2000 wurde die Rückgabe von 14 Gegenständen aus dem Bundesmobiliendepot empfohlen, das sich in der Zuständigkeit des Ministeriums für wirtschaftliche Angelegenheiten befindet.

In der 92. Beiratssitzung vom 12. April 2019 wurde eine weitere Rückgabe an die Ephrussi-Erben empfohlen. Hierbei ging es um ein Ölgemälde von Franz Adam im Besitz des Heeresgeschichtlichen Museums. Diese Restitution kam im Heeresgeschichtlichen Museum erst durch die Recherchen von Gabriele Kohlbauer-Fritz und ihren Kolleg:innen im Jüdischen Museum zustande, die sie im Rahmen der Vorbereitungen der Ausstellung „Die Ephrussis. Eine Zeitreise“ für das Jüdische Museum betrieben.

Im Zuge der Aufteilung des Ephrussi-Besitzes an verschiedenste Museen und öffentliche Stellen in Wien dürften noch weitere Gemälde und andere Gegenstände in den öffentlichen Kunstmarkt gekommen sein. 19 Gemälde aus der Sammlung Ephrussi sind nach heutigem Wissensstand nicht auffindbar.57 Wie Gustav Steinbauer 1949 festhielt, wurden 10 Gemälde 1939 an die Galerie Paffrat in Düsseldorf verkauft.58 Diese Gemälde befinden sich heute vielleicht in privaten Sammlungen oder in einem kleinen öffentlichen Museum, das nicht die nötigen Ressourcen für Provenienzforschung hat. Es bleibt daher wohl nur die Hoffnung, dass Recherchen im Zusammenhang mit Ausstellungen auch heute noch zu Entdeckungen führen, durch die geraubte Güter an die rechtmäßigen Erben restituiert werden können.


  1. Vgl. Bastl, Ringstraßengesellschaft. 33.
  2. Vgl. Bastl, Ringstraßengesellschaft. 33. ↩︎
  3. Vgl. Waal, Thomas de, „…die Begründer von Reichtümern und Odessaer Anekdoten“. Die Ephrussis in Odessa. In: Kohlbauer-Fritz, Gabriele; Juncker, Tom (Hrsg.), Die Ephrussis. Eine Zeitreise. Wien 2019. 30-43. Hier 31. ↩︎
  4. Vgl. Ephrussi. In: Gaugusch, Georg, Wer einmal war. Das jüdische Großbürgertum Wiens 1800-1938. A-K. Wien 2011. 570-575. Hier 570. ↩︎
  5. Gaugusch, Georg, Der jüdische Hausbesitz in der Wiener Innenstadt und der Ringstraßenzone bis 1885. In: Kohlbauer-Fritz, Gabriele (Hrsg.), Ringstraße. Ein jüdischer Boulevard. Wien 2015. 89-134. Hier 116. ↩︎
  6. Vgl. Waal, „…die Begründer von Reichtümern und Odessaer Anekdoten“. 32. ↩︎
  7. Vgl. Waal, „…die Begründer von Reichtümern und Odessaer Anekdoten“. 34. ↩︎
  8. Vgl. Waal, „…die Begründer von Reichtümern und Odessaer Anekdoten“. 38. ↩︎
  9. Vgl. Rudorfer, Das Palais Ephrussi in Wien. 10. ↩︎
  10. Vgl. Lillie, Sophie, Was einmal war. Handbuch der enteigneten Kunstsammlungen Wiens. Wien 2003. 339. ↩︎
  11. Siehe Kapitel 4.3. ↩︎
  12. Vgl. Rudorfer, Das Palais Ephrussi in Wien. 10. ↩︎
  13. Vgl. Kohlbauer-Fritz, „Eine Gabe des Herzens, um den Ruhm des Gotteshauses zu erhöhen“. 80. ↩︎
  14. Vgl. Schwarz, Hinter den Fassaden der Ringstraße. 88f. ↩︎
  15. Die Adresse „Franzensring“ durchlief danach einige Umbenennungen. Nach dem Ende der Monarchie erhielt der Abschnitt den Namen Ring des 12. November, 1934 wurde er dann in Dr. Karl Lueger Ring geändert. Seit 2012 heißt dieser Abschnitt des Rings Universitätsring. Siehe auch: APA, Dr.-Karl-Lueger-Ring wird in Universitätsring umbenannt. In: Der Standard. 19. April 2012. Online unter: https://www.derstandard.at/story/1334795565355/wien-dr-karl-lueger-ring-wird-in-universitaetsring-umbenannt [08.09.2023]. ↩︎
  16. Vgl. Gaugusch, Der Ruf makelloser Respektabilität. 47f. ↩︎
  17. Vgl. Gaugusch, Der Ruf makelloser Respektabilität. 49. ↩︎
  18. Vgl. Schwarz, Hinter den Fassaden der Ringstraße. 89. ↩︎
  19. Kohlbauer-Fritz, Gabriele, „Und als man das neue Geld einführte, erwies es sich, daß von dem Guthaben meiner Mutter in der Bank Efrussi kaum ein paar tausend Schilling geblieben waren.“ Politische und ökonomische Krisen und das Anwachsen des Antisemitismus in der Zwischenkriegszeit. In: Kohlbauer-Fritz, Gabriele; Juncker, Tom (Hrsg.), Die Ephrussis. Eine Zeitreise. Wien 2019. 102-111. Hier 103. ↩︎
  20. Vgl. Kohlbauer-Fritz, „Und als man das neue Geld einführte, erwies es sich, daß von dem Guthaben meiner Mutter in der Bank Efrussi kaum ein paar tausend Schilling geblieben waren.“ 103. ↩︎
  21. Vgl. Juncker, Tom, „… keine Bedenken mehr, dass die Firma Ephrussi sich in Hinkunft als arische Firma bezeichne“ Das Bankhaus Ephrussi & Co. von seiner Gründung bis zur „Arisierung“ 1938. In: Kohlbauer-Fritz, Gabriele; Juncker, Tom (Hrsg.), Die Ephrussis. Eine Zeitreise. Wien 2019. 130-137. Hier 132ff. ↩︎
  22. Vgl. Kohlbauer-Fritz, „Und als man das neue Geld einführte, erwies es sich, daß von dem Guthaben meiner Mutter in der Bank Efrussi kaum ein paar tausend Schilling geblieben waren.“ 103f. ↩︎
  23. Vgl. Juncker, Tom, „… von der Gestapo zugewiesene Masse Ephrussi“. „Arisierung“ und Zerstreuung eines Familienbesitzes durch den NS-Staat. In: Kohlbauer-Fritz, Gabriele; Juncker, Tom (Hrsg.), Die Ephrussis. Eine Zeitreise. Wien 2019. 112-119. Hier 113. ↩︎
  24. Vgl. Schwarz, Hinter den Fassaden der Ringstraße. 90. ↩︎
  25. AT-OeStA/ AdR/ E-uReang/ FLD 17293. Teil 3. 21. ↩︎
  26. Vgl. Wosnitzka, Daniel, Alfred Rosenberg 1893-1946. In: Deutsches Historisches Museum, Berlin. 14. September 2014. Online unter: https://www.dhm.de/lemo/biografie/alfred-rosenberg [08.09.2023]. ↩︎
  27. Vgl. Mayer, Monika, „1939 überwiesen aus dem ehem. Besitz Ephrussi“. Die österreichische Galerie und die Sammlung Ephrussi. In: Kohlbauer-Fritz, Gabriele; Juncker, Tom (Hrsg.), Die Ephrussis. Eine Zeitreise. Wien 2019. 138-141. Hier 140. ↩︎
  28. Vgl. Mayer, „1939 überwiesen aus dem ehem. Besitz Ephrussi“. 140f. ↩︎
  29. Vgl. Mayer, „1939 überwiesen aus dem ehem. Besitz Ephrussi“. 141. ↩︎
  30. Vgl. Juncker, „ … von der Gestapo zugewiesene Masse Ephrussi“. 116. ↩︎
  31. Vgl. Juncker, „ … von der Gestapo zugewiesene Masse Ephrussi“. 118. ↩︎
  32. Vgl. Juncker, „Officer was born and reared in Vienna, Austria“. 179. ↩︎
  33. Vgl. Kohlbauer-Fritz, Gabriele, „Es ist kein Schloß […]. Eigentlich ist es nur eine Jagdhütte. Aber es ist auch ein Hort der Freiheit.“ Kövecses – Sommerfrische. In: Kohlbauer-Fritz, Gabriele; Juncker, Tom (Hrsg.), Die Ephrussis. Eine Zeitreise. Wien 2019. 152-159. Hier 157. ↩︎
  34. Vgl. De Waal, Edmund, Der Hase mit den Bernsteinaugen. Eine Stadt. Ein Buch. Wien 2021. 268. ↩︎
  35. Vgl. Juncker, Tom, „Good for Single Journey“. Exil und Neubeginn der Familie Ephrussi-de Waal in Großbritannien. In: Kohlbauer-Fritz, Gabriele; Juncker, Tom (Hrsg.), Die Ephrussis. Eine Zeitreise. Wien 2019. 162-167. Hier 163. ↩︎
  36. Vgl. Gaugusch, Wer einmal war. 573. ↩︎
  37. Vgl. Juncker, „Good for Single Journey“. 166. ↩︎
  38. Vgl. Beer, Siegfried, Die US-amerikanische Besatzungspolitik in Österreich bis Herbst 1945. In: Rauchensteiner, Manfried; Etschmann, Wolfgang (Hrsg.), Österreich 1945. Ein Ende und viele Anfänge. Graz, Wien, Köln 1997. 207-228. Hier 218f. ↩︎
  39. Vgl. National Archives and Records Administration Washington, DC. Disc 148 
    PC/V/I/24–26. Ignace L. Ephrussi (n.d.; Oct. 1945–Sept. 1946). 155. ↩︎
  40. Vgl. National Archives and Records Administration Washington, DC. Disc 148 
    PC/V/I/24–26. Ignace L. Ephrussi (n.d.; Oct. 1945–Sept. 1946). 169.  ↩︎
  41. Vgl. National Archives and Records Administration Washington, DC. Disc 148 
    PC/V/I/24–26. Ignace L. Ephrussi (n.d.; Oct. 1945–Sept. 1946). 211. ↩︎
  42. Jabloner, Clemens et al. (Hrsg.), Schlussbericht der Historikerkommission der Republik Österreich. Vermögensentzug während der NS-Zeit sowie Rückstellungen und Entschädigungen seit 1945 in Österreich. Zusammenfassungen und Einschätzungen. Band 1. Wien/München 2003. Online unter: https://hiko.univie.ac.at/PDF/01.pdf [08.09.2023] 250. ↩︎
  43. Vgl. AT-OeStA/ AdR/ E-uReang/ FLD 17293. Teil 1. 29. ↩︎
  44. Vgl. AT-OeStA/ AdR/ E-uReang/ FLD 17293. Teil 2. 37. ↩︎
  45. Vgl. WStLA, M. Abt. 119, A41 – VEAV – Vermögensentziehungs-Anmeldungsverordnung: 1076, Bezirk: 1. 4. ↩︎
  46. Vgl. AT-OeStA/ AdR/ E-uReang/ FLD 17293. Teil 1. 40. ↩︎
  47. Vgl. AT-OeStA/ AdR/ E-uReang/ FLD 17293. Teil 1. 40. ↩︎
  48. Vgl. AT-OeStA/ AdR/ E-uReang/ FLD 17293. Teil 1. 51. ↩︎
  49. Mayer, Monika, Bruno Grimschitz und die Österreichische Galerie 1938-1945. Eine biographische Annäherung im Kontext der aktuellen Provenienzforschung. In: Anderl, Gabriele; Caruso, Alexandra (Hrsg.), NS-Kunstraub in Österreich und die Folgen. Innsbruck 2005. 59-79. Hier 70. ↩︎
  50. Vgl. Mayer, Bruno Grimschitz und die Österreichische Galerie 1938-1945. 71. ↩︎
  51. WStLA, M.Abt.119, A41 – VEAV – Vermögensentziehungs-Anmeldungsverordnung: 1371, Bezirk: 1. 2. ↩︎
  52. WStLA, M.Abt.119, A41 – VEAV – Vermögensentziehungs-Anmeldungsverordnung: 1371, Bezirk: 1. 3.  ↩︎
  53. WStLA, M.Abt.119, A41 – VEAV – Vermögensentziehungs-Anmeldungsverordnung: 1371, Bezirk: 1. 31. ↩︎
  54. Hoover Institution, Eric Voegelin Correspondence 75070, Box 39, Mappe 17. Correspondence with Elizabeth de Waal. (Anm.: Scans der Dokumente dankenswerterweise von Univ.-Prof. Dr. Oliver Rathkolb zur Verfügung gestellt, sonst nur vor Ort einsehbar.↩︎
  55. Vgl. Juncker, Tom, „… die Sperrung des der Familie Ephrussi gehörigen Gemäldes […], welches sich noch im Heeresmuseum befindet.“ Abriss zu einer unabgeschlossenen Restitution, 1945-2019. In: Kohlbauer-Fritz, Gabriele;Juncker, Tom (Hrsg.), Die Ephrussis. Eine Zeitreise. Wien 2019. 142-149. Hier 143. ↩︎
  56. Vgl. Bundesdenkmalamt. Ephrussi Ausfuhrbewilligung 1950. GZ 4860/50. ↩︎
  57. Vgl. Schallmeier, Anneliese, 1998 – die Kommission für Provenienzforschung und der Weg zum Kunstrückgabegesetz. In: Anderl, Gabriele et al. (Hrsg.), … wesentlich mehr Fälle als angenommen. 10 Jahre Kommission für Provenienzforschung. Wien/Köln/Weimar 2009. 34-47. Hier 45. ↩︎
  58. Vgl. Juncker, „… die Sperrung des der Familie Ephrussi gehörigen Gemäldes […], welches sich noch im Heeresmuseum befindet.“ 149. ↩︎
  59. Vgl. BDA Zl. 6315/50, Personenmappe Viktor Ephrussi. 19. ↩︎
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